Das Hinnomtal ist ein Park südlich von Jerusalem. Man kann dort spazieren gehen oder ein Picknick machen. Jetzt soll sogar eine Luftseilbahn gebaut werden, welche Touristen über das Hinnomtal hinweg und entlang der alten Stadtmauer schweben lässt. Das Titelbild zeigt einen Blick durchs Hinnomtal hinauf zu den Mauern der Altstadt Jerusalems (Bild von Ralf Roletschek, via Wikimedia Commons). Doch es war nicht immer so friedlich im Hinnomtal. Das Tal hat eine lange Geschichte und auch Jesus spricht davon. Der hebräische Begriff für Hinnomtal ist “Ge-Hinnom” und wird im Griechischen mit “Gehenna” wiedergegeben. Wenn wir heute eine Bibel aufschlagen, wird Gehenna meist mit “Hölle” übersetzt. Der Begriff taucht an 12 Stellen im neuen Testament auf, 7x im Matthäusevangelium, 3x bei Markus und je einmal bei Lukas und im Jakobusbrief. Welche dunklen Geheimnisse verbirgt dieses Tal? Wie kommt es, dass wir es heute mit der wortwörtlichen Hölle gleichsetzen? Verschiedene Bedeutungsebenen Das Hinnomtal wird in den Evangelien nicht genauer erklärt. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass es den Zuhörern damals bekannt war. Aber welche Vorstellungen hatten Jesus, das einfache Volk und die Schriftgelehrten im Kopf, wenn sie vom Hinnomtal sprachen? Die brennende Müllhalde Zur Zeit Jesu war das Hinnomtal sozusagen die Müllkippe Jerusalems: “Die Leichname von Hingerichteten wurden oft auf einem brennenden Abfallhaufen vor Jerusalem geworfen, der als »Tal Hinnom« oder »Gehenna« bekannt war.” [1] Es war also nicht zu vergleichen mit dem malerischen Tal von heute. Die erste Stelle, an der Jesus vom Hinnomtal spricht, ist in die Bergpredigt eingebettet. Das ist zugleich in den meisten Übersetzungen die erste Stelle in der gesamten Bibel überhaupt, an der das Wort “Hölle” auftaucht: Ihr wisst, dass zu den Vorfahren gesagt worden ist: ›Du sollst keinen Mord begehen! Wer einen Mord begeht, soll vor Gericht gestellt werden.‹ Ich aber sage euch: Jeder, der auf seinen Bruder zornig ist, gehört vor Gericht. Wer zu seinem Bruder sagt: ›Du Dummkopf‹, der gehört vor den Hohen Rat. Und wer zu ihm sagt: ›Du Idiot‹, der gehört ins Feuer der Hölle [Gehenna]. Mt. 5,21-22 An wen richtete sich die Bergpredigt? Gemäss Mt. 5,1 sprach Jesus zum “Volk”, bzw. zu einer grossen Menschenmenge. Er stieg auf einen Berg und begann sie zu lehren. Es handelte sich bei der Bergpredigt also nicht um einen Fachvortrag vor Schriftgelehrten, wobei diese sicher auch zugegen waren. Bestimmt waren viele einfache Dorfbewohner und auch Kinder unter den Zuhörern. Wenn Jesus im gleichen Atemzug von Gericht, dem Hohen Rat und dem Feuer im Hinnomtal sprach, so war dies auch für die Kinder klar als eine Steigerung der Bestrafung verständlich. Die wirklich schlimmen Verbrecher wurden hingerichtet und danach im Hinnomtal entsorgt. Das kam immer wieder mal vor. Die Hauptaussage Jesu in diesen Versen, nämlich dass es auf die Haltung des Herzens ankommt und nicht nur auf die ausgeführte Tat, konnte also von jedem Zuhörer mit gesundem Menschenverstand und Ortskenntnissen verstanden werden. Der Historiker Josephus beschreibt die Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. Dabei fielen sehr viele Leichen an. Weil es keinen Platz mehr gab, um die Toten in der Stadt zu begraben und der Gestank überhandnahm, wurden sie über die Mauern in die umliegenden Täler geworfen (The Wars Of The Jews, 5.12.3). Die Bewohner Jerusalems wurden also wortwörtlich in die Gehenna geworfen. Rom würde Jerusalem in eine abstossende, stinkende Erweiterung seiner eigenen schwelenden Müllhalde verwandeln. Als Jesus sagte: “Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr auch so umkommen”, hatte er vornehmlich diese Bedeutung im Sinn. N.T. Wright, “Von Hoffnung überrascht” Ort des Gerichts bei den Propheten Doch die Geschichte des Hinnomtals reicht noch weiter zurück. Im 8. und 7. Jhdt. v. Chr. wurden im Hinnomtal die Götter Baal und Moloch verehrt. Dabei kam es auch zu Kinderopfern (2. Chronik 28,3, 2. Könige 23,10). Durch den Propheten Jeremia wurde Israel das Gericht für diese Greueltaten verkündet: Jeremia 7,28-34 und noch ausführlicher in Jeremia 19. Viele sehen diese Gerichtsprophezeiungen durch Nebukadnezar erfüllt (Jeremia 19-21, Jeremia 52, Hesekiel 12,1-20, 2. Chr. 36,11-21). Das Hinnomtal wurde damit zu einem Tal des Schlachtens und zum Schauplatz göttlichen Gerichts. Die Prophezeiungen Jesajas weisen darüber hinaus in die Zukunft, auf den “Tag des Herrn” (Jes 30,27-33, Jes 66,23-24). Darin wird ebenfalls Bezug genommen auf die Feuerstätte im Hinnomtal (das Tofet). Das Hinnomtal wird damit zum Schauplatz eines zukünftigen Gerichts im messianischen Reich, auch “Reich Gottes” genannt. In Markus 9 nimmt Jesus direkt Bezug auf diese Prophezeiung, indem er Jesaja 66,24 zitiert: Und wenn dein Auge dir Anstoss ⟨zur Sünde⟩ gibt, so wirf es weg! Es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes hineinzugehen, als mit zwei Augen in die Hölle [Gehenna] geworfen zu werden, »wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt «. Markus 9, 47-48 Und sie werden hinausgehen und sich die Leichen der Menschen ansehen, die mit mir gebrochen haben. Denn ihr Wurm wird nicht sterben und ihr Feuer nicht verlöschen, und sie werden ein Abscheu sein für alles Fleisch. Jesaja 66,24 Die gelehrten Zuhörer Jesu verstanden diese Hinweise. Ihnen war klar, dass Jesus damit auf das Gericht im messianischen Reich anspielte. Interessanterweise fehlt in der Parallelstelle Matthäus 18,9 diese Referenz auf Jesaja. Waren sich die Evangelisten nicht einig was Jesus gemeint hatte? Für eine detaillierte Auslegung der prophetischen Bedeutung des Hinnomtals möchte ich auf einen Artikel des Kernbeisser-Blogs verweisen [5]. Karsten Risseeuw kommt darin zum Schluss, dass sich unsere heutigen Höllenvorstellungen einer ewigen Strafe im Jenseits nicht durch diese Prophezeiungen begründen lassen: Die Gehenna ist – wie wir gesehen haben – ein Sinnbild des Gerichts, welches im messianischen Reich ausgeübt wird und ein Ort gleich ausserhalb von Jerusalem. Es lässt sich von Jerusalem nicht loslösen. In verschiedenen Hinweisen hatten die Propheten von der Aufrichtung des messianischen Reiches und der Rolle von Jerusalem gesprochen. Dort hinein passt die Rede von der Gehenna, wie Jesus darüber sprach. Mit einer ewigen Hölle im Jenseits hat das alles nichts zu tun. Ist die Gehenna die Hölle? [5] Paulus kennt übrigens einen Horizont, der noch weiter in die Zukunft reicht als das messianische Reich. In 1. Korinther 15,20-28 spricht er davon, dass auch die Herrschaft Christi zu Ende geht, wenn “Gott ihm alle seine Feinde unter die Füsse gelegt hat”. Auch dem Tod, dem letzten Feind, wird dabei ein Ende bereitet. Dann endlich wird Gott sein Ziel erreicht haben (Vers 28): “Wenn dann alles unter die Herrschaft von Christus gestellt ist, wird er selbst, der Sohn, sich dem unterstellen, der ihn zum Herrn über alles gemacht hat. Und dann ist Gott alles in allen.” Verallgemeinertes Gericht bei den Apokalyptikern Im Alten Orient gab es durchaus Schilderungen einer strafenden und quälenden Totenwelt. Die alttestamentliche Totenwelt (Scheol) hebt sich davon ab, weil sie bemerkenswerterweise frei von solchen Vorstellungen ist. Schwere Zeiten des Umbruchs und politischer Katastrophen führten allerdings dazu, dass über die Jahrhunderte vermehrt apokalyptische Gedanken ihren Niederschlag in jüdischen Schriften fanden. Dies betraf nicht die Schriften des AT, sondern nicht-offizielle apokryphe Schriften wie das Henochbuch oder das 4. Esrabuch. Die Apokalyptiker kompensieren ihr Leiden an dem Leid dieser Welt durch phantastische Ausmalungen des Jenseits, der Herrschaft der Seligen und der Qualen der Gottlosen. E. Hennecke, W Schneemelcher. Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Zitiert in [4]. Das Henochbuch entstand zwischen dem 3. und 1. Jhdt v. Chr. Im Henochbuch wird das Hinnomtal zwar nicht wörtlich genannt, es ist aber eindeutig gemeint [3]. Der Verfasser gibt an, mehrere Reisen ins Jenseits und in die Zukunft unternommen zu haben. Er berichtet davon, was er gesehen hat, um die Menschen vor Versuchungen zu bewahren. Es tauchen erstmals Schilderungen einzelner Folterszenen auf, die von einem Heer von Strafengeln vollzogen werden. Auch ist von verschiedenen Räumen die Rede. Diese Strafen richten sich aber noch ausschliesslich an die herrschende Oberschicht: “Es sind die Mächtigen, die solchermassen gerichtet werden, die falschen Führer des Volkes, versagende Könige und tyrannische Machthaber. Einfache Normalbürger werden nicht erwähnt.” [4]. Das Henochbuch hat das Neue Testament klar beeinflusst. Es war unter frühchristlichen Apologeten bekannt. Tertullian forderte sogar, dass es in den biblischen Kanon aufgenommen werden solle [2, S. 68]. Im 4. Esrabuch, welches ca. 100 n. Chr. entstand, wird der Gerichtsbegriff weiter verallgemeinert. Das Gericht trifft nun alle Menschen. Es findet nach der leiblichen Auferstehung statt. Gott sitzt auf dem Richterthron und schickt die Bösen ins Hinnomtal (Gehenna), welches hier wieder wörtlich genannt wird. Der geographische Kontext des Hinnomtals ist jetzt verschwunden. Es wird nur noch als Symbol für den Ort des Gerichts verwendet [3]. Die Hölle im Christentum Der beschrittene Weg, das Gericht immer stärker zu verallgemeinern und seine Strafen auszumalen, wurde im frühen Christentum weiter verfolgt. Wieder waren schwierige Umstände Anlass dazu, das Heil, und damit auch die Strafe für Ungerechtigkeit, ins Jenseits zu verlagern. Ein gerechtes Reich hier auf Erden schien ausser Reichweite gekommen zu sein. Zudem erwarteten die Christen ein baldiges Ende mit der Wiederkunft Jesu: Wie immer der apokalyptische Anteil am Gedankengut Jesu von Nazaret gewesen sein mag, der eigentliche und nähere Anlass für ein breites Einströmen apokalyptischen Wort- und Bildmaterials in das frühe Christentum war die baldige Erwartung des (Wieder-)Kommens Christi nach dem gewaltsamen Ende Jesu. Herbert Vorgrimler, Geschichte der Hölle [2, S.78] Nun, diese Naherwartung hat sich nicht erfüllt. Die in Gang gesetzte Dynamik konnte aber nicht mehr aufgehalten werden. Die militärischen Katastrophen der Jahre 70 (Tempelzerstörung) und 135 (Zerstörung Jerusalems durch Titus) trugen das ihrige dazu bei. In diese Zeit fällt z.B. die Verfassung der Petrusapokalypse, welche für die christlichen Höllenvorstellungen prägend wurde. Der Text enthält eine kurze Schilderung des Paradieses und eine lange Beschreibung der Hölle. Es werden ganz konkret diverse Strafen beschrieben, welche die Sünder treffen werden. Je nach Vergehen variiert die Strafe. Im 3. Jhdt. gesellte sich dann noch die Paulusapokalypse hinzu und bestärkte dieses Höllenbild. Die Petrusapokalypse wurde im Jahr 397 endgültig aus dem Kreis der kanonischen Schriften ausgeschlossen. Dennoch blieb die Höllenlehre im Christentum haften. Die Höllenschilderung ist theologiegeschichtlich von höchster Bedeutung. Die Bilder von den endzeitlichen Qualen, wie sie in diesem Text enthalten sind, haben die Christen gleichsam internalisiert und sie prägten die christlichen Höllenvorstellungen bis in die Neuzeit. Katharina Ceming und Jürgen Werlitz, “Die verbotenen Evangelien” , über die Petrusapokalypse, S. 186 Mit Augustinus (354-430) wurde eine harte Höllenlehre offiziell in der Kirche verankert. Alternative Sichtweisen, wie z.B. diejenige des Origenes, wurden verboten. Über viele Jahrhunderte wurde die Hölle mit angsterfüllten Visionen “weiterentwickelt”: “Die ‘Jensseitstexte’ der Schrift genügen nicht, daher wird auf das Arsenal ausserbiblischer Visionen zurückgegriffen.” [2, S.284] Die Drohung einer Hölle galt als unverzichtbares Druckmittel. Wie sollte man sonst Menschen zu moralischem Verhalten bewegen? Selbst wenn man an die Allversöhnung glauben würde, dürfte man das nicht zu laut sagen: “Wer an die Allversöhnung nicht glaubt, ist ein Ochs; wer sie aber lehrt, ist ein Esel.” (Christian Gottlob Barth). Es gab sogar eine Art Zweiklassen-Theologie, die dazu führte, dass Intellektuelle gegenüber weniger Gebildeten bewusst auf eine einfache Höllenlehre zurückgriffen: There was a time, in the early centuries of the church, and especially in the Eastern half of the imperial world, when it was still generally assumed that there were mysteries of the faith that should be reserved for only the very few, the Christian intellectual elite […], while the faith of the more common variety of believers should be nourished only with simpler, coarser, more infantile versions of doctrine. For the less learned, less refined, less philosophical Christians, it was widely believed, the prospect of hellfire was always the best possible means of promoting good behavior. [6, S. 200] Nicht selten schwang auch eine gehörige Portion Sadismus mit. Man freute sich regelrecht darauf zuzuschauen, wenn eines Tages die Gottlosen ihre “gerechte” Strafe erhalten würden. Dante Aligheri verschaffte der Hölle um 1300 in seiner “Göttlichen Komödie”, die gängige theologische Vorstellungen aufnahm, sogar einen Platz in der Weltliteratur. Alle Details dieser traurigen Entwicklung lassen sich bei Herbert Vorgrimler [2] nachlesen. Eine gute Zusammenfassung bietet Tilman Schröders Vortrag “Eine kleine Geschichte der Hölle” [4]. Diese Höllenvorstellungen, die sich über viele Jahrhunderte in der Kirche ansammelten, haben nicht mehr viel mit dem Hinnomtal zu tun. Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn wir heute das überladene Wort “Hölle” in der Bibel … Über das Hinnomtal weiterlesen
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