
Unser Weg in die neue Schöpfung
Der letzte Artikel über die Apokalypse hat viele Fragen zum neuen Jerusalem aufgeworfen. Wird es himmlisch, irdisch, oder ganz anders sein? Gehen wir dahin oder kommt es zu uns? Wird es eine Entrückung geben? Was geschieht mit dieser Erde? Ist das neue Jerusalem der Himmel? Ich habe mir N.T. (Tom) Wrights Buch “Von Hoffnung überrascht” geschnappt, um diesen grossen Fragen nachzuspüren.
Eine himmlische Verwirrung
Wenn es um Vorstellungen von Himmel und Erde geht, stellt Wright in der Christenheit eine grosse Verwirrung fest. Die Erde ist unsere Welt, bestehend aus Raum, Zeit und Materie. So weit, so gut. Der Himmel ist schon schwieriger zu definieren. Begriffe wie geistig, geistlich, seelisch, ewig, raum- und zeitlos werden dafür benutzt. Christlich gesprochen ist der Himmel die Dimension Gottes, während die Erde die Dimension der Menschen ist. Bei der Frage, wie die Erde und dieser “Himmel” in Beziehung stehen, können wir auf zwei Seiten vom Pferd fallen.
Überbewertung des Himmels
Das dualistische Denken des griechischen Philosophen Platons steckt tief in unseren Bibelinterpretationen drin. Er trennte in seiner Ideenlehre klar zwischen Gegenständen, die wir in unserer vergänglichen Welt beobachten, und ihren “Urbildern”, den Ideen, welche die absolute und zeitunabhängige Wirklichkeit ausmachen. Entsprechend bewerten wir das Irdische und Materielle in seiner Vergänglichkeit als negativ. Auch der Begriff der Sünde haftet dem Materiellen an. Die Wahrheit, das Ewige und Heilige lebt in einem spirituellen “Himmel”. Viele Christen sind überzeugt, dass ihre Seele in sphärische Himmelsgefilde entrückt wird, sobald sie endlich den vergänglichen Körper mit all seinen Schwächen losgeworden ist. Diese Vorstellung klingt auch bei den Gnostikern an. Die Aufgabe des Menschen sei es, sich möglichst aus den Fesseln der Materie zu befreien und zu höheren geistigen Ebenen aufzuschwingen. Die Erde ist in dieser Sicht eine vorübergehende Station, die gefallene Welt, die wir irgendwie überstehen müssen. Der Himmel ist ganz anders, ohne Raum, Zeit und Materie. Der Himmel ist unser Ziel.
Wright kritisiert an dieser Vorstellung, dass die Erde komplett preisgegeben wird. Gott scheint den Versuch einer Schöpfung in Raum und Zeit aufgegeben zu haben, obwohl er sie eigentlich mal für “sehr gut” befand (1. Mose 1,31). Am Ende der Zeit stoppt er das Experiment und holt seine Treuen zu sich in den Himmel.
Überbewertung der Erde
Seit dem grossen Erfolg der naturalistischen Wissenschaften hat sich auch bei einigen Christen eine diesseitige Fortschrittsgläubigkeit entwickelt. Der evolutionäre Optimismus lässt uns hoffen, dass die Welt sich zum Besseren entwickeln wird. Die Kräfte der Evolution haben uns schon weit gebracht, wieso sollten sie uns nicht noch weiter bringen? Christliche Denker haben Gott in diese Vorstellung integriert, wie z.B. der Jesuit Pierre Teilhard de Chardin: “Der göttliche Geist, so glaubte er, sei auf jeder Stufe in den evolutionären Prozess involviert, so dass ‘die kosmische und menschliche Evolution sich auf eine immer vollständigere Enthüllung des Geistes zubewege, die im ‘Christus-Omega’ kulminiert'”.(S. 96). Die ganze Natur und der Kosmos ist im Pan(en)theismus ein Teil von Gott. Wir entwickeln uns zusammen mit Gott weiter. Diese Sichtweise wird in Gott 9.0 mit Stufe Türkis treffend beschrieben.
Wright kritisiert an dieser Vorstellung, dass sie nicht mit dem Bösen und Schuld fertig werde. Wir könnten die Schrecken des 20. Jhdt. damit nicht erklären oder ausrotten. Dieser Prozess bescherte uns Hiroshima und Auschwitz. Glauben wir wirklich daran, dass sich das Problem des Bösen von alleine löst? “Man stelle sich vor, das Goldene Zeitalter begänne morgen früh; was würde das denjenigen sagen, die heute gefoltert werden?”
Die Hochzeit von Himmel und Erde
Wright argumentiert, dass es bei der christlichen Hoffnung im Neuen Testament weder um einen himmlischen Eskapismus noch um einen irdischen Fortschrittsmythos gehe. Die biblische Hoffnung bestehe aus der Hochzeit von Himmel und Erde, wie sie in Offenbarung 21 und 22 beschrieben ist. Die neue Schöpfung wird nicht einfach irdisch oder himmlisch sein. Sie wird etwas Neues sein, das aber auf dem Alten beruht. Die neue Schöpfung wird Eigenschaften der Erde, wie z.B. die Raumzeit und Materie, aufweisen. Gleichzeitig wird sie durch und durch von Gottes Geist durchdrungen sein. Die alte Schöpfung wird nicht entsorgt und durch eine neue ersetzt. Die alte Schöpfung wird transformiert. Dann wird Gott “alles in allen” sein (1. Korinther 15,28).
Diese Kontinuität zwischen alter und neuer Erde hat entscheidende Auswirkungen darauf, wie die Kirche ihre Mission gestaltet. Bauen wir auf dieser Erde bereits an den Fundamenten der zukünftigen Schöpfung Gottes mit? Oder geht es primär darum, noch möglichst viele Seelen zu retten, bis der Vorhang fällt?
Auferstehung
Für Wright ist die Auferstehung zentral. Wie Jesus an Ostern auferstanden ist, so werden auch wir eines Tages auferstehen. Jesus ist diesbezüglich kein Sonderfall, sondern einfach der Erste von vielen.
Sechs W-Fragen
Ich möchte in diesem Abschnitt kurz und knapp Wrights Vorstellung von der Auferstehung anhand verschiedener W-Fragen darstellen.
Wer wird auferstehen? Alle. Danach folgt das Gericht.
Wo wird die Auferstehung stattfinden? Auf der neuen Erde, welche dann mit dem Himmel verbunden sein wird.
Was wird der Auferstehungsleib sein? Es wird ein “transphysischer” Leib sein. Mehr dazu im nächsten Abschnitt.
Warum kriegen wir neue Körper? Wir sollen gemäss dem Auftrag Gottes in der Genesis (1. Mose 1,28) auch über die neue Schöpfung (mit-)herrschen.
Wann findet die Auferstehung statt? Beim zweiten Kommen Jesu. Wright stellt sich ein Paradies als Zwischenzustand zwischen Tod und Auferstehung vor. Die Auferstehung ist dann das “Leben nach dem Leben nach dem Tod”.
Wie wird die Auferstehung geschehen? Es wird einen Akt der Neuschöpfung geben. Hier verwendet Wright eine Metapher von John Polkinghorne, die mir als Informatiker vollkommen einleuchtet: “Gott wird unsere Software auf seine Hardware downloaden, bis er uns eine neue Hardware gibt, auf der die Software wieder läuft.” (S. 178). 😎
Der Auferstehungsleib
Die Eigenschaften des neuen Auferstehungsleibes sind nach Wright durchaus die eines materiellen Körpers, der sich in Raum und Zeit bewegt. Allerdings scheint der neue Leib nicht mehr so strikt an die irdischen Dimensionen gebunden zu sein. Wright benutzt hier das Wort “transphysisch” – physisch, aber göttlich transformiert.
Dieser Körper ist ganz klar physisch: Er braucht (sozusagen) die Materie des gekreuzigten Körpers auf; daher das leere Grab. Gleichzeitig kommt und geht er durch geschlossene Türen; er wird nicht immer erkannt; und am Ende verschwindet er in Gottes Dimension, also in den “Himmel”, durch den dünnen Vorhang, der in einem Grossteil des jüdischen Denkens Gottes Raum von unserem Raum trennt.
VHü, S. 66
Paulus beschreibt den Auferstehungsleib ausführlich in 1. Korinther 15, 35-58. Dabei wird unser irdischer Körper mit dem künftigen Körper verglichen: erst vergänglich, dann unvergänglich, erst schwach, dann voller Kraft, erst ein Abbild des irdischen Adams, dann des himmlischen Adams. Wright weist darauf hin, dass Vers 44 oft falsch übersetzt werde. Die Begriffe “physischer Körper” und “geistlicher Körper” würden fälschlicherweise das Material beschreiben, aus dem der Körper gemacht ist (psyche/pneuma). Er argumentiert, dass griechische Adjektive dieser Art, die auf “-ikos” enden, aber nicht das Material meinen, sondern vielmehr die Kraft oder Energie, welche die Dinge belebt:
Paulus redet vom gegenwärtigen Körper, der von der normalen menschlichen psyche belebt wird (die Lebenskraft, die wir alle hier und jetzt besitzen, die uns im gegenwärtigen Leben über die Runden bringt, die aber letztendlich gegen Krankheit, Verletzung, Verfall und Tod machtlos ist), und er redet vom zukünftigen Körper, der von Gottes pneuma belebt wird, Gottes Atem des neuen Lebens, die treibende Kraft der neuen Schöpfung Gottes.
VHü, S. 170
Hier Vers 44 in zwei verschiedenen Übersetzungen:
In die Erde gelegt wird ein irdischer Körper. Auferweckt wird ein Körper, der durch Gottes Geist erneuert ist. Genauso, wie es einen irdischen Körper gibt, gibt es auch einen durch Gottes Geist erneuerten Körper.
1. Kor. 15,44 – NGÜ
Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib. Gibt es einen natürlichen Leib, so gibt es auch einen geistlichen Leib.
1. Kor. 15,44 – Luther 2017
Viele Übersetzungen verwenden ebenfalls den Begriff “geistlicher Leib” (z.B. Elberfelder, Schlachter 2000, Zürcher). HFA (Hoffnung für Alle) liegt mit “einem Körper, der von unvergänglichem Leben erfüllt ist” mehr auf der Linie von Wright/NGÜ. Tatsächlich legt der Kontrast irdisch/geistlich einen starken Bruch mit der materiellen Dimension nahe. Der Ausdruck “durch Gottes Geist erneuert” (NGÜ) weist auf eine Kontinuität hin.
Recycling der Atome?
Womit ich allerdings Mühe habe, ist die Vorstellung, der Auferstehungsleib brauche “die Materie des irdischen Körpers auf”. Werden die Atome unseres Körpers tatsächlich in unserem Auferstehungsleib recycelt? Diese Frage wurde schon durch die Kirchenväter bearbeitet. Von Tertullian stammt das “Dilemma des Kannibalen”: Was passiert, wenn ein Kannibale einen Christen verspeist und sich danach bekehrt? Die Atome des Christenkörpers wurden verdaut und im Körper des Kannibalen verwendet. Wem gehören nun diese Atome bei der Auferstehung? Man braucht aber keine Kannibalen, um mit dieser Vorstellung Probleme zu bekommen. Das physische Material unseres Körpers (Moleküle, Atome) erneuert sich alle 7-10 Jahre beinahe komplett. Wir verteilen unsere Atome also dauernd in der Umwelt, indem wir Hautzellen verlieren, aufs Klo gehen, etc. Das passiert notabene auch beim Verwesungsprozess nach einer Bestattung. Unsere Atome werden wieder in den Nahrungskreislauf eingebaut. Die Chance ist gross, dass wir mit jedem Apfel Atome früherer Lebewesen zu uns nehmen. Guten Appetit!
Die Sadduzäer fragten Jesus, wem die Frau der sieben Brüder bei der Auferstehung gehören werde (Markus 12, 18-27). Jesus antwortete, dass die Frage irrelevant sei, da man dann nicht mehr heiraten werde. Ich bin versucht, bei der Frage “Wem werden die Atome meines linken kleinen Zehs bei der Auferstehung gehören?” gleich zu antworten: Es ist irrelevant, da die Atome nicht mehr gebraucht werden. Damit würden wir aber auch Wrights “einfache” Erklärung für das leere Grab verlieren. Wright ist hier flexibel: Es könne durchaus eine körperliche Kontinuität geben (wie eben bei Jesus). Das sei aber nicht zwingend und Gott sei durchaus in der Lage, Körper komplett neu zu schaffen (S. 178).
Bei diesem Thema klingt die Frage nach Kremation oder Erdbestattung an. Einige Christen haben Angst, dass eine Kremation mit Gottes Auferstehungsplan interferieren könnte. Wright ist skeptisch gegenüber der Kremation, aber er sagt “damit natürlich nicht, dass Kremation eine Häresie sei.” (S. 35). Für Wright ist die heute weitverbreitete Praxis der Kremation schlicht ein Zeichen dafür, dass man keine Hoffnung auf Auferstehung mehr habe, sondern einfach wieder mit der Welt verschmelzen wolle, inspiriert durch östliche Philosophien. Er werde “am passenden Ort später über die Beziehung zwischen Kremation und Auferstehung sprechen.” Im Rahmen des Buches ist dies leider nicht geschehen. Falls jemand einen Hinweis darauf hat, wo er das allenfalls getan hat, bitte melden!
Warten wir auf eine Entrückung?
In der dispensationalistischen Endzeittheologie gibt es die Vorstellung einer Entrückung. Die Gläubigen werden von der Erde entrückt, bevor die Zeit der Trübsal anbricht. Danach folgt das 1000-jährige Reich. 1. Thessalonicher 4,16-17 beschreibt diese Entrückung, wie sie sich viele Christen vorstellen: Jesus kommt vom Himmel herab und es erschallen Posaunen. Die Toten werden auferstehen und die Gläubigen, die noch am Leben sind, werden in die Wolken emporgehoben, dem Herrn entgegen. Wright versteht diese Bibelstelle nicht wörtlich:
Paulus’ Metaphern vom Blasen der Posaunen und der Lebenden, die in den Himmel entrissen werden, um dem Herrn zu begegnen, sind nicht als buchstäbliche Wahrheit zu verstehen, wie es die Left-Behind-Serie suggeriert, sondern als eine anschauliche, mit biblischen Anspielungen versehene Beschreibung der grossen Transformation der gegenwärtigen Welt, von der er an anderer Stelle spricht.
N. T. Wright, Farewell to the Rapture (eigene Übersetzung)
Wenn ein Imperator eine Kolonie oder Provinz besuchte, dann liefen ihm die Bürger entgegen, vor die Tore der Stadt, um ihn willkommen zu heissen. Sie begleiteten ihn dann königlich in die Stadt. So versteht Wright auch diese Stelle:
Wenn Paulus von der “Begegnung” mit dem Herrn “in der Luft” spricht, dann geht es gerade nicht darum, dass die geretteten Gläubigen irgendwo in der Luft schweben bleiben, von der Erde entfernt, wie wir es in der populären Entrückungstheologie finden. Es geht um folgendes: Nachdem sie herausgegangen sind, um ihrem Herrn zu begegnen, werden sie ihn königlich in seinen Herrschaftsbereich begleiten, also zurück an den Ort, von dem sie kommen.
VHü, S. 147
Es wird also keine Entrückung weg in einen platonischen Himmel geben. Im Gegenteil: Das Ziel ist die neue Erde. Die Stelle beschreibt das irdische Begrüssungskomitee für Jesus, wenn er als König wiederkommen wird. Er ist gekommen, um auf der neuen Erde zu bleiben, nicht um seine Gläubigen wegzuholen! Statt entrückt, werden die Körper der Lebendigen transformiert werden, damit sie denselben Auferstehungsleib erhalten wie die auferstandenen Toten.
Jenseits der Hoffnung?
Wie stellt sich Wright das Schicksal jener Menschen vor, die nicht zu den Gläubigen zählen? Glaubt er an eine Hölle?
Zunächst mal erklärt er, dass unsere Vorstellungen einer Hölle stärker durch mittelalterliche Bilderwelten geprägt sind als durch die Bibel. Die Reden, in denen Jesus über die Gehenna (übersetzt mit “Hölle”) spricht, deutet er auf das Schicksal Jerusalems: “Rom würde Jerusalem in eine abstossende, stinkende Erweiterung seiner eigenen schwelenden Müllhalde verwandeln. Als Jesus sagte: ‘Wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr auch so umkommen’, hatte er vornehmlich diese Bedeutung im Sinn.” (S.190). Auch Gleichnisse wie das von Lazarus und dem reichen Mann möchte er nicht überstrapazieren, sie sind “nicht tatsächliche Beschreibungen des Lebens nach dem Tode.” (S.191).
Gemäss Wright war Jesus viel mehr damit beschäftigt, das Reich Gottes auf die Erde zu bringen, als über das zukünftige Leben zu predigen. Er warnt in dieser Frage vor Dogmatismus. Man könne es eben nicht abschliessend wissen. Sowohl eine strikte Höllenlehre wie auch eine sichere Allversöhnung lehnt er daher ab. Er lehnt aber vor allem eine Version der Allversöhnung ab, die ein Endgericht relativiert und von einer Wischi-Waschi-Versöhnung spricht (“Alles ist gut!”). Dass es ein Gericht geben muss, in dem das Unrecht der Welt zurechtgerückt wird, ist für ihn unabdingbar. Das sehe ich auch so. Heinz Schumacher legt in seinem Buch “Versöhnung des Alls – Gottes Wille” dar, wie Gottes Gerichte unverzichtbarer Teil seines Rettungsplans sind – mit der Allversöhnung als Fernziel!
Wright glaubt, dass Menschen so weit auf Abwege geraten können, dass sie das Flüstern der guten Nachricht und das wahre Licht der Liebe Gottes nicht mehr wahrnehmen können. Diese Menschen “hören dann auf, überhaupt noch Träger des Ebenbildes Gottes zu sein.” Das ist die Verdammnis, die für Menschen real werden könne. Man spürt ihm die Unzufriedenheit mit dieser Antwort aber an: “Ich wäre glücklich, würde ich widerlegt…” (S.197). Und er beendet das Kapitel auch nicht in diesem Ton, “aus dem guten Grund, dass sich auch das Neue Testament immer wieder weigert, in diesem Ton zu enden.” (S.198)
Wright wird hoffnungsvoll, wenn er das Endziel Gottes vor Augen hat. Dieser habe sich nämlich “der Aufgabe verschrieben, die Welt letztendlich ins Lot zu bringen.” Das Spiel drehe sich überhaupt nicht um Himmel oder Hölle, sondern um Gottes Absicht der Rettung und Neuschöpfung des gesamten Kosmos. Da die Menschheit Teil des Kosmos ist, wird auch sie durch diese Heilung erfasst:
Vielleicht sollten wir uns nicht auf die Frage konzentrieren, welche Menschen Gott in den Himmel aufnehmen wird und wie er das machen wird, sondern auf die Frage, wie Gott seine Schöpfung durch Menschen erlösen und erneuern wird, und wie er diese Menschen als Teil dieses Prozesses retten wird.
VHü, S. 200
Das Fegefeuer
Wright möchte mit der römisch-katholischen Lehre des Fegefeuers aufräumen. Er zitiert den damaligen Papst Benedikt XVI, welcher “aufbauend auf 1. Korinther 13 argumentiert, dass der Herr selbst das Feuer des Gerichts ist, das uns verwandelt, während er uns seinem herrlichen Auferstehungsleib gleich gestaltet.” (S. 181) Wenn schon die Spitze der katholischen Kirche den Zwischenzustand des Fegefeuers ablehnt, warum sollte es der Rest des Christentums, der dieser Lehre immer schon skeptisch gegenüber stand, nicht ebenfalls tun? Stattdessen verortet er eine Art Fegefeuer hier und heute, in unserem gegenwärtigen Leben:
In Wirklichkeit macht Paulus hier [Röm. 8,31ff] und andernorts deutlich, dass das gegenwärtige Leben als eine Art Fegefeuer gedacht ist.
VHü, S. 185
Darin ist Wright dann auch sehr konsequent und er wird sogar polemisch. Wer angesichts von Röm. 8,31ff immer noch behaupte, man müsse erst durchs Fegefeuer gehen, bis man zur Liebe Gottes gelange, der brauche “eher einen Therapeuten als einen Theologen” (S. 185). Mit dem Tod des irdischen Körpers sei diese Phase der Läuterung vorbei und wir seien gänzlich frei von Sünde:
Der körperliche Tod selbst ist, und darauf bestanden die Reformatoren, die Zerstörung der sündigen Person. Ich wurde einmal von jemandem beschuldigt, ich würde nahelegen, Gott sei ein Zauberer, wenn er aus einer immer noch sündigen Person auf wundersame Weise einfach so eine nicht mehr sündige Person machen könne. Doch darum geht es gar nicht. Der Tod selbst beseitigt alles, was immer noch sündig ist; das ist keine Zauberei, sondern gute Theologie. Es gibt dann nichts mehr in einem Fegefeuer zu reinigen.
VHü, S. 184
Da bin ich anderer Meinung. Ich fühle mich verbunden mit dem erwähnten Kritiker, der Wright vorwarf, Gott als “Zauberer” zu bezeichnen. Dieses Leben soll eine reinigende Wirkung haben, die dann mit dem Tod plötzlich abgeschlossen ist? Zack und Fast-Forward auf 100%? Jedes Kind, das stirbt, jeder Neunzigjährige, Mutter Theresa, ich und Hitler (ja, der muss immer herhalten), sollen nach dem Tod plötzlich gleich weit sein, nämlich frei von sündigem Wesen? Erlöst uns denn der Tod von der Sünde?
Die Sünde ist tief in unserem Herzen verankert: “Denn von innen, aus dem Herzen des Menschen, kommen Gedanken, die böse sind – Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Zügellosigkeit, Missgunst, Verleumdung, Überheblichkeit und Unvernunft.” (Markus 7, 21-22). Im biblischen Sinne umfasst das Herz den Kern unseres Wesens und damit auch unseren Willen, unsere Leidenschaften und unseren Verstand. Stirbt dieses sündige Herz etwa auch mit dem Tod? Ich meine: Nein!
Für Wright scheint es beim Gericht bloss noch um eine Abrechnung der Taten und die Festsetzung der Strafe zu gehen. Er räumt zwar mit dem platonischen Himmel auf, versteht aber Gottes Gericht im Sinne der römisch-griechischen Justitia. Verträgt sich das mit der biblischen Gerechtigkeit Jahwes (Zedaka)? Wright befindet sich hier im Widerspruch zu Papst Benedikt, den er zitiert. Dieser spricht nämlich von einem “Feuer des Gerichts, das uns verwandelt“. Wright schüttet sozusagen das Kind mit dem Bade aus. Mit der Abschaffung des Fegefeuers schafft er auch jeglichen Reinigungsprozess nach dem Tod ab. Mit dem Tod des Körpers ist alles gut und wir sind sündenfrei. Tatsächlich zauberhaft!
Ich glaube, der Weg der Heiligung, den Gott mit uns geht, zieht sich weiter bis in die neue Schöpfung hinein. Indem wir uns dem Feuer der Liebe Gottes aussetzen, wird unser Wesen umgestaltet, sodass wir ihm immer ähnlicher werden (2. Korinther 3,18). Erst in der neuen Schöpfung wird dieser Prozess abgeschlossen sein. Christliche Mystiker beschreiben diese Reinigung des Herzens seit vielen Jahrhunderten. Dieser Weg ist keinesfalls leicht und ich glaube nicht, dass es Abkürzungen gibt. Unser sündiges Herz muss tatsächlich sterben, damit es ebenfalls auferstehen kann. Aber wir müssen nicht durchs Fegefeuer gehen, um zur Liebe Gottes zu gelangen. Die Liebe Gottes ist das Fegefeuer!
Konsequenzen für unser heutiges Leben
Das letzte Drittel des Buchs befasst sich mit den Konsequenzen, die ein biblisches Auferstehungsverständnis für die heutige Kirche hat. Wenn wir nach unserem Tod diese Welt verlassen und in einem vergeistigten Himmel leben, dann kann uns Christen diese Erde mehr oder weniger egal sein. Es geht dann primär darum, noch möglichst viele Seelen zu retten, bevor es zu spät ist. Wenn die Geschehnisse der Offenbarung beginnen, wird Gott die Erde sowieso zerstören. Kommt es also darauf an, ob das Klima vorher noch etwas erwärmt wird oder noch ein paar Tiere mehr aussterben? Wright widerspricht dieser pessimistischen Sicht deutlich.
Erlösung heisst also nicht: “in den Himmel gehen”, sondern: “im neuen Himmel und der neuen Erde Gottes zum Leben auferweckt werden”. Doch sobald wir die Sache so formulieren, erkennen wir, dass das Neue Testament voller Hinweise, Andeutungen und unverblümter Aussagen dahingehend ist, dass diese Erlösung nicht etwas ist, das in ferner Zukunft liegt und auf das wir warten müssen. Wir können sie hier und jetzt geniessen.
VHü, S. 212
Weil die neue Schöpfung eine Erneuerung dieser Erde sein wird, ist alles was wir heute tun relevant bis in die Ewigkeit. Manchmal vergessen wir, dass Jesus vor seinem Tod auch noch ein Leben auf dieser Erde führte. Er brachte das Reich Gottes auf die Erde, er pflanzte den Samen für etwas das gross werden wird. Sein Verhalten war ein ernstgemeinter Neuanfang. „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, soll Martin Luther einst gesagt haben. Wright würde ihm den Spaten reichen und ergänzen, dass die Welt nicht etwa unterginge, sondern lediglich transformiert würde.
Was sie in der Gegenwart tun – indem sie malen, predigen, singen, nähen, beten, unterrichten, Krankenhäuser bauen, Brunnen graben, für Gerechtigkeit kämpfen, Gedichte schreiben, sich um Bedürftige kümmern, Ihren Nächsten lieben wie sich selbst -, wird bis in Gottes Zukunft reichen.
VHü, S. 207
Soziale Kirche
Die Kirche befindet sich damit in einer Spannung zwischen dem “schon jetzt” und dem “noch nicht”. Es gibt zwei extreme Sichtweisen: Die erste ist die des “sozialen Evangeliums”, das versucht, mittels sozialer, politischer und kultureller Veränderungen das Reich Gottes herbeizuführen. Die zweite Sichtweise ist die der apokalyptischen Resignation. Man könne sowieso nichts machen, wenn der Herr es nicht tut. Das Böse sei zu stark in dieser Welt.
Wir müssen daher die Arroganz oder den Triumphalismus der ersten Sichtweise vermeiden, die sich vorstellt, wir könnten das Reich Gottes durch unsere eigenen Anstrengungen bauen, ohne eines weiteren grossartigen Aktes der Neuschöpfung zu bedürfen. Aber wir müssen der ersten Sichtweise zustimmen, dass gerechtes Handeln in der Welt Teil der christlichen Aufgabe ist, und wir müssen daher die Hoffnungslosigkeit der zweiten Sichtweise zurückweisen, die sagt, es lohne sich nicht einmal, es zu versuchen.
VHü, S.230
Kapitalismus und Armut
Natürlich muss sich die Kirche für Gerechtigkeit einsetzen! Da müsste man beim Lesen der Evangelien schon beide Augen schliessen, um auf andere Schlussfolgerungen zu kommen. Die Rechte von Schwachen und Unterdrückten werden im Reich Gottes hochgehalten. Wright kritisiert schliesslich den Kapitalismus, der dazu führe, dass “die Reichen reicher und die Armen ärmer würden”. Ebenfalls setzt er sich für einen globalen Schuldenerlass ein.
Kurz ein paar Gedanken dazu. Ist die Schuldfrage wirklich so einfach? Das Bild der grossen Kluft zwischen Arm und Reich ist das was Hans Rosling in seinem Buch “Factfulness” einen Megatrugschluss nennt: “Dieser erste Trugschluss ist der schlimmste. Indem er die Welt in zwei irreführende Schubladen einordnet – Arm und Reich -, verzerrt er alle gobalen Proportionen im Denken der Menschen.” Natürlich gibt es nach wie vor grosse Ungerechtigkeit! Tatsächlich ist es aber um die Welt viel besser bestellt, als die meisten Menschen denken. Gerade in den letzten 200 Jahren wurden riesige Fortschritte bei der Bekämpfung von Armut und der durchschnittlichen Lebenserwartung erzielt. Die allermeisten Menschen leben irgendwo in der Mitte und nicht an den extremen Rändern des Wohlstands. Roslings Buch leistet hier grossartige Aufklärungsarbeit. Auf gapminder.org werden die zugrundeliegenden Statistiken veröffentlicht, z.B.:
- Die Entwicklung der extremen Armut seit 1800
- Der weltweite Anstieg der Lebenserwartung
- Die Entwicklung einzelner Länder in einem interaktiven Bubble-Diagramm (“Play” unten links drücken)
Der Anteil der Menschheit, der in extremer Armut lebt, ging beispielsweise seit 1800 von 85% auf heute 9% zurück. Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich die extreme Armut halbiert. Die Lebenserwartung begann im 20. Jahrhundert trotz spanischer Grippe und zwei Weltkriegen auf heute 72 Jahre zu steigen, nachdem sie bis Ende des 19. Jhdts. bei gut 30 Jahren stagniert hatte.
Ist das nicht eindrücklich? Könnte es sein, dass Gott in seinem grossen Plan doch vorankommt? Ich stelle mir das Kommen des Reiches Gottes jedenfalls so vor, dass es mit weniger Armut, medizinischer Versorgung, weltweiter Solidarität, Bildung für alle und politischer sowie persönlicher Freiheit einhergeht. In all diesen Dimensionen steht die Welt heute besser da als je zuvor in ihrer gesamten Geschichte!
Sind diese Veränderungen trotz oder wegen des Kapitalismus geschehen? Bräuchten wir eine Art christlicher Sozialismus? Ich weiss nicht, ob das die richtigen Fragen sind. Vielleicht sind sie gar nicht so relevant.
Den Schleier perforieren
Ein dünner Schleier trennt die materielle Erde vom spirituellen Himmel. An gewissen Stellen ist dieser Schleier dünner. Einzelne durchlässige Punkte können sich zu Rissen verbinden und am Tag der grossen Hochzeit wird der Schleier ganz wegfallen. Wir sind als Christen dazu berufen, solche kleinen Punkte zu sein, durch die der Himmel bereits heute durchscheint.
Soziales Engagement ist dann kein Zusatz zur Mission der Kirche mehr, sondern ihr Zentrum. “Alles was gut und vollkommen ist, kommt von dir” heisst es im bekannten Worship Song “Vater des Lichts”, der sich an Jakobus 1,17 und Philipper 4,8 orientiert. Der Schleier wird perforiert, wo Menschen sich für andere einsetzen, Nöte sehen, Mitleid fühlen. Wo Menschen ihre guten Begabungen für das Schöne und Tugendhafte nutzen und ganz generell dafür, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Auch der lokale Sportverein kann ein Ort sein, wo der Schleier gelüftet wird. “Dieser Ansatz führt auch direkt zur Evangelisation”, argumentiert Wright. Denn Menschen fühlen sich hingezogen zu Orten, an denen Gutes geschieht. Sie wären gerne ein Teil davon. Die Kirche wird ihre Exklusivität am Guten aber aufgeben müssen, denn “ein ansehnlicher Anteil dieser Arbeit wird fröhlich und richtigerweise mit der Arbeit überlappen, die von Menschen anderer Glaubensrichtungen oder ohne Glauben getan wird.”
Mein Fazit
Es gibt Themen, die ich anders sehe als Wright. Im grossen Ganzen hat mir aber “Von Hoffnung überrascht” viele Dinge klargemacht. Gerade beim platonischen Denken fühlte ich mich (einmal mehr!) ertappt. So klar und kraftvoll vorgeführt zu bekommen, dass Gottes Ziel die Verbindung von Himmel und Erde ist, tut gut. Die neue Erde in Kontinuität zur alten Erde zu denken wertet unser heutiges Leben auf. Was hier und jetzt geschieht, ist relevant! Gott wird es gebrauchen und darauf aufbauen. Die Kirche ist dazu berufen, die Erde zu einem besseren Ort zu machen. Damit bahnt sie den Weg für die neue transformierte Erde nach Gottes Plan. Die Mitgliederzahlen sind zweitrangig.
Der Blick auf das Endziel Gottes macht Mut. Gott wird die Erde nicht entsorgen. Er ist einer, der kaputte Dinge repariert. Wir dürfen uns schon heute darauf freuen, selbst eines Tages durch seinen Geist erneuert zu werden!
Dein Reich komme, dein Wille geschehe auf der Erde, wie er im Himmel geschieht.
Vaterunser, Mt. 6,10

