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Sterben, um zu leben

Gott möchte, dass wir unser Leben lieben. In jedem Lebensabschnitt gibt es einen spirituellen Aspekt, zu dem wir ein Ja finden sollen. In der zweiten Lebenshälfte geht es um ein Wachstum nach innen.

Unser Ego

Kontrolle, Sicherheit, Anerkennung und Genuss – Vier Säulen des Egos. Sie sind sehr zerbrechlich. Es lohnt sich nicht, darauf zu bauen. Gott lässt zu, dass unser Leben sie zerbricht.

Die vier “Säulen des Egos” beziehen sich auf unsere innersten Grundbedürfnisse. Thomas Keating beschreibt in “Invitation to Love”, wie unser Ego mittels emotionaler Programme versucht, diese Bedürfnisse zu befriedigen und uns glücklich zu machen. Diese Grundbedürfnisse stimmen erstaunlich gut mit den Grundbedürfnissen nach Klaus Grawes Konsistenztheorie überein.

Der spirituelle Weg führt dahin, dass wir nicht selbst (mittels unseres Egos) diese Bedürfnisse zu befriedigen versuchen, sondern dies Gott überlassen. Gott hat die Kontrolle. Gott ist unsere Sicherheit. In Gott liegt unsere wahre Identität, welche bleibenden Selbstwert stiftet. Seine Liebe und ein Leben in Beziehung mit ihm sind der höchste Genuss.

Die Befreiung

Gott nimmt uns

  • unseren Stolz,
  • unsere Selbstgefälligkeit,
  • die Anerkennung von Menschen,
  • unser Ansehen,
  • unsere Arbeitsstelle,
  • unser falsches Ich,
  • Überzeugungen,
  • unsere Illusionen,
  • unser Vermögen,
  • unseren Besitz,
  • Beziehungen,
  • unsere Heimat,
  • unsere Sicherheit,
  • die Kontrolle,
  • Gewohnheiten,
  • unsere Gesundheit,
  • unsere Stärke,
  • und letztlich unser Leben,

um uns zu zeigen, dass

  • unser wahres Ich nicht davon abhängig ist.
  • unser Herz vergänglichen Dingen anhängt.
  • er uns aus einer inneren Quelle nähren möchte.
  • er die Leere mit seiner Gegenwart und Liebe füllt.
  • uns nichts jemals von seiner Liebe trennen kann.
  • unsere wahre Identität in ihm begründet ist.
  • wir auf Sand gebaut haben.
  • er unsere Sicherheit ist.

Möge meine Seele sich daran erinnern, wenn’s ernst wird.

Das Willkommensgebet kann uns dabei helfen, uns auf Gottes Handeln einzulassen.

Die mystische Dimension des Leidens

Die folgenden Zitate von Mystikern beleuchten die Rolle, die Leid in unserer spirituellen Entwicklung spielen kann.

Nur Liebe und Leid sind stark genug, um die normalen Abwehrschirme des Egos zu durchbrechen, unser duales Denken zu zertrümmern und uns für das Geheimnis zu öffnen. Nach meiner Erfahrung setzen sie wie nichts anderes jene mysteriöse chemische Reaktion in Gang, die uns von einem Leben, das auf Furcht gründet, verwandelt hin zu einem Leben, das auf Liebe gründet.

Richard Rohr, “Pure Präsenz”

Dieses läuternde und liebende Erkennen oder das göttliche Licht, von dem wir hier sprechen, geht bei der Läuterung des Menschen und dessen Vorbereitung auf die vollkommene Einung mit sich genauso um wie das Feuer mit einem Holzscheit, das es in sich überformt. Das erste, was echtes Feuer mit einem Holzscheit macht, ist, es allmählich auszutrocknen, indem es alle Feuchtigkeit heraustreibt und alles Wasser, das es enthält, herausweinen lässt; dann macht es das Holzscheit schwarz, dunkel und hässlich und gibt ihm dazu noch einen üblen Geruch. Durch die allmähliche Austrocknung befördert und treibt es alle hässlichen und dunklen Bestandteile, die dem Holzscheit im Gegensatz zum Feuer anhaften, heraus ans Licht. Und indem das Feuer das Holz allmählich von aussen her entflammt und erhitzt, überformt es dieses in sich selbst und macht es so schön wie das Feuer. In dieser Schlussphase gibt es für das Holzstück kein Erleiden und keine Eigenwirkung mehr ausser seiner Schwere und Masse, die noch dichter ist als die des Feuers. Es hat jetzt die Eigenschaften und die Wirkungen des Feuers in sich: Es ist trocken und macht trocken, es ist warm und macht warm, es ist licht und macht licht, und es ist viel leichter als vorher, weil das Feuer in ihm diese Eigenschaften und Wirkungen hervorruft.

Johannes vom Kreuz, “Die Dunkle Nacht”

Wir sind auf Erden um erlöst zu werden. Die Sünde, das Dunkle in uns, trennt uns von Gott und von den Menschen. Erst wenn alles Finstere in uns aufgelöst ist, sind wir ganz in die ewige Liebe Gottes aufgenommen. Erst wenn diese dunkle Zone in uns durch Leiden erlöst wurde, können wir Gott schauen. Darin besteht das Ziel des irdischen Lebens. Wer seine Erbsünde in Liebe durchlitten hat und in diesem Sinne Christus nachgefolgt ist, hat nicht umsonst auf Erden gelebt. Wer dagegen in seinem Leben dem erlösenden Leiden gegenüber ausgewichen ist, muss den Weg der Erlösung nach seinem Tod fortsetzen. Darin besteht die Lehre der Kirche vom Purgatorium.

Franz Jalics, über die Reinigung des Herzens im Feuer der Liebe Gottes, “Kontemplative Exerzitien”

Kommst du durch das Schweigen in die tieferen Schichten des Unbewussten, kannst du auf so etwas wie eine Ölquelle stossen und es wird allerhand an die Oberfläche strömen. Es kann sein, dass es monate- oder jahrelang ziemlich schwer für dich wird. Das sind die Zeiten, die Johannes vom Kreuz die dunklen Nächte nennt.

Thomas Keating, “Das Gebet der Sammlung”

Das Sterben und der Tod entsprechen im Ruhegebet dem Loslassen und Abgeben von allem, der Gottesvorstellung, der Gedanken, der Gefühle, der Bilder, der Erwartungen, ja, letztlich aller Ich-Strukturen. Durch dieses “Sterben” bereitet der Betende dem Entgegenkommen des Herrn den Weg, um durch, mit und in ihm aufzuerstehen. Der vorübergehende Tod des eigenen Ego und gleichzeitig aller irdischen und materiellen Dinge währt nur eine kurze Zeit. Der Herr nimmt dieses Opfer an und schenkt es dem Betenden auf individuelle Weise zurück. Er nimmt ihn mit in seine Auferstehung und sendet ihn nach dieser Begegnung […] hinaus in das aktive Leben.

Peter Dyckhoff, “Ruhegebet”, S.130

Bibelverse & Zitate

Nackt bin ich aus meiner Mutter Leib gekommen, und nackt kehre ich dahin zurück. Der HERR hat gegeben, und der HERR hat genommen, der Name des HERRN sei gepriesen!

Hiob 1,21

Ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.

Johannes 12,24

Wer sein Leben zu erhalten sucht, wird es verlieren; wer es aber verliert, wird es bewahren.

Lukas 17,33

Dann sagte Jesus zu seinen Jüngern: “Wenn jemand mein Jünger sein will, muss er sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen und mir nachfolgen.”

Matthäus 16,24

Jeder muss mit Feuer gesalzen werden.

Markus 9, 49

Nicht mehr ich bin es, der lebt, nein, Christus lebt in mir.

Galater 2,20

Habe dein Schicksal lieb, denn es ist der Weg Gottes mit deiner Seele.

Fjodor M. Dostojewski

Ich erblicke in dem Leben eines jeden Sterblichen einen grossen Erziehungsplan, dessen erste Anfänge nur in den Zeitraum zwischen seiner Wiege und seinem Grabe fallen, dessen ganze Entwicklung aber langer Ewigkeiten bedarf.

Amalie Sieveking

The terrible thing, the almost impossible thing, is to hand over your whole self – all your wishes and precautions – to Christ. But it is far easier than what we are all trying to do instead. For what we are trying to do is to remain what we call “ourselves,” to keep personal happiness as our great aim in life, and yet at the same time be “good.”

C.S. Lewis, Mere Christianity

Herr, schliesse mich im tiefsten Innern Deines Herzens ein. Und wenn Du mich dort hältst, brenne mich, reinige mich, entflamme mich, läutere mich bis zur vollkommenen Zufriedenheit Deines Wünschens, durch die vollständige Auslöschung meines Egos.

Pierre Teilhard de Chardin

The practice of meditation is indeed an authentic experience of dying to self … it is like a “mini-death,” at least from the perspective of the ego … We let go of our self-talk, our interior dialogue, our fears, wants, needs, preferences, daydreams, and fantasies. These all become just “thoughts,” and we learn to let them go. … In this sense, meditation is a mini-rehearsal for the hour of our own death, in which the same thing will happen. There is a moment when the ego is not longer able to hold us together, and our identity is cast to the mercy of Being itself. This is the existential experience of “losing one’s life.” …

Just as in meditation we participate in the death of Christ, we also participate in [Christ’s] resurrection. At the end of those twenty minutes or so of sitting, when the bell has rung, we are still here! For twenty minutes we have not been holding ourselves in life, and yet life remains. Something has held us and carried us. And this same something, we gradually come to trust, will hold and carry us at the hour of our death. To … really know this is the beginning of resurrection life. 

Cynthia Bourgeault, Centering Prayer and Inner Awakening

Wenn die Raupen wüssten, was einmal sein wird wenn sie erst Schmetterlinge sind, sie würden ganz anders leben: froher, zuversichtlicher und hoffnungsvoller.
Der Tod ist nicht das Letzte. Der Schmetterling ist das Symbol der Verwandlung, Sinnbild der Auferstehung. Das Leben endet nicht, es wird verändert.
Der Schmetterling erinnert uns daran, dass wir auf dieser Welt nicht ganz zu Hause sind.

Heinrich Böll

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One Comment

  • Wolfgang Seitz OFS

    Gedanken zum „Sonnengesang“ (Teil 1)

    „Gelobt seist du, du mein Herr, mit all deinen Geschöpfen,
    zumal dem Herrn Bruder Sonne, er ist der Tag
    und du spendest uns das Licht durch ihn,
    und schön ist er und strahlend in schönem Glanz,
    dein Sinnbild, du Höchster.“ (aus „Laudate e benedicite mio Signore“)

    Die Hl.Teresa von Avila (Kirchenlehrerin)
    wird gerne mit folgendem Ausspruch zitiert:
    “Nichts als Eitelkeit unter der Sonne”.
    Gemeint ist damit wohl – damals wie heute –
    das selbstgefällige, ich – zentrierte Gehabe
    der herrschenden Stände und Klassen,
    der Bildungs- und Finanzeliten
    inklusive der Institution Kirche und deren Verwicklung
    in weltliche und geistliche Machtstrukturen.
    Eitelkeit als eine Art von Verblendung,
    Verdunkelung und Verschattung
    gegenüber dem Gnadenlicht Gottes,
    das unsere Herzen reinigen
    und zur selig machenden Schau Gottes befähigen möchte.
    Die äußere, den Augen tagsüber sichtbare Sonne,
    dient dem nahezu erblindeten Franziskus
    als Sinnbild für das “wahre Licht der Welt”;
    für Jesus Christus; für das geliebte göttliche DU,
    das von uns Menschen nicht genug geliebt wird.
    Warum?
    Weil wir häufig zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind.
    Weil wir uns im Schatten der selbst geschaffenen Sicherheiten und Besitzstände geborgener fühlen
    als in der erhellenden Gnadensonne Gottes.
    Zur Erinnerung:
    Adam und Eva aßen vom Baum der Erkenntnis.
    Sie erkannten sich, bedeckten ihre Blöße
    und verbargen sich vor Gott.
    Im gegenseitigen Sich-Erkennen
    hatten sie plötzlich etwas zu verbergen.
    Aus der lichtvollen, unmittelbaren Anschauung Gottes heraus begaben sie sich (unfreiwillig?) in das enge Schattendasein ihrer selbst. Aus diesem Schattendasein will uns Jesus Chris-tus wieder heraus führen.
    Wir sollen und dürfen uns wieder nackt zeigen vor Gott
    – bar jeglicher Eitelkeit –
    und uns als das erkennen, was wir sind:
    einerseits zutiefst der Hilfe bedürftige,
    vergängliche Geschöpfe,
    andererseits aber auch
    die unverwechselbaren Abbilder Gottes;
    sein geliebtes Gegenüber,
    die Krone seiner Schöpfung
    mit Eigentumsrechten in seinen himmlischen Wohnungen.

    So lasst uns aufbrechen und immer wieder neu
    – wie der „Arme von Assisi – den Blick auf diese unvergängli-che und wahre Sonne – auf Jesus Christus– richten.
    Wolfgang Seitz OFS

    siehe > https://www.ofs-region-rottenburg-stuttgart.de/%C3%BCber-uns/regionalmitteilungen/ > Franziskusweg 2019